Das einzige Bild, das von Eva Klein existiert, zeigt sie 1923 im Kreis ihrer Familie bei ihrer Goldenen Hochzeit. Sie sitzt neben ihrem Mann Wilhelm Klein im hochgeschlossenen schwarzen Kleid, die kräftigen Hände im Schoß gefaltet. Eine Frau von 75 Jahren, der das Leben Wohlstand beschert, ihr aber auch viel abverlangt hat.
Eva Klein stammte wie Wilhelm Klein aus Edenkoben in der Pfalz. Im Ortsteil Böchingen wurde sie 1848 als Tochter eines Hufschmieds geboren. Vielleicht hatten sich Eva und Wilhelm schon in der Dorfschule kennengelernt oder sonntags in der Kirche. Wir wissen nicht, ob sie verliebt waren oder nur vernünftig, als sie den Beschluss fassten, zu heiraten. Die Hochzeit wurde am 22. Juli 1873 gefeiert. Da war Eva fast 25 Jahre alt, ein recht fortgeschrittenes Alter für eine Jungfer vom Dorf. Sie hatte keine Eltern mehr und keinen Beruf. Aber sie war patent und an Arbeit gewöhnt, weil das Leben es von einem Mädchen abverlangt, das mit 5 Jahren die Mutter und mit 16 Jahren den Vater verliert. Ihre jüngeren Schwestern waren längst verheiratet und mit ihren Familien nach Ludwigshafen und Landau gezogen. Was für ein unsägliches Glück für Eva, nun mit Wilhelm in die großherzogliche Residenzstadt Darmstadt zu gehen. Nun konnte sie das Dorf hinter sich lassen, um an der Seite eines tüchtigen Mannes ein besseres Leben aufzubauen!
Das Glück blieb für Eva Klein aber nicht ungetrübt. Neun Monate nach der Hochzeit kam Philipp auf die Welt. 17 Monate später, am 8. Oktober 1875, schenkte sie Heinrich das Leben. Zwei stramme Buben, die den Traum des Vaters einmal fortsetzen sollten. Sie waren gesund und gediehen gut. Dafür war Eva immer dankbar. Ihren Schmerz über die anderen Kinder, die nicht bleiben konnten, weil sie für die Welt zu schwach waren, verschloss sie in ihrem Herzen. Eva teilte das Schicksal vieler Frauen in dieser Zeit, in der Tuberkulose, Keuchhusten und Diphterie für eine hohe Kindersterblichkeit sorgten. Nach den beiden Söhnen wurde das erste Mädchen, Ernestine, 1877 ins Zivilregister eingetragen. Ein Todesdatum fehlt in den Dokumenten, was darauf schließen lässt, dass sie kurz nach der Geburt starb. Ebenso wie ihr Bruder Paul, der fünf Jahre später, 1882, zur Welt kam und ohne Todesdatum aus den Dokumenten verschwand. Auch zwei weitere Kinder überlebten das Kleinkindalter nicht: 1882, mit knapp zwei Jahren, musste Eva ihren dritten Sohn Ernst begraben. Der jüngste und letzte Sohn Friedrich starb 1886 mit knapp elf Monaten.
Die Familienlegende spricht davon, dass Eva ein strenges häusliches Regiment geführt habe. Ihre Söhne Philipp und Heinrich mussten stramm stehen, wenn die Mutter rief. Kein Widerwort wurde geduldet. Wenn Eva etwas anordnete, wurde es genau so gemacht. Vielleicht war das die Form, der Welt und dem Schöpfer klar zu machen: Die nimmst du mir nicht weg, hier halte ich meine Hand drauf. Und mit dieser Strenge und Unerbittlichkeit führte sie auch Haushalt und Finanzen. Sie wirtschaftete sparsam, nichts wurde verschwendet und erst recht nicht verjubelt. Die Erinnerung an das karge, immer nur auf das Nötigste beschränkte Leben ihrer Jugend blieb ihr präsent. Und sie hatte einen Traum. Die Mietwohnungen, die die Familie bewohnte, wurden zwar größer, je mehr sich das Malergeschäft entwickelte, aber es mangelte an Komfort. Eva wünschte sich fließend Wasser, Gaslicht und Heizung im Haus. Und Eigentum. Das Haus sollte ihnen gehören. Der Mensch ist nichts ohne seine Scholle. Und eine Familie braucht einen festen Grund, in dem sie sich verwurzeln kann: Das sollte die Elisabethenstraße 68-70 werden. Ein kluger Traum.
Eva Kleins Lebenssinn war es, für die Kinder, die ihr geblieben waren, eine Heimat zu schaffen. Über 50 Jahre arbeitete sie dafür an der Seite ihres Mannes Wilhelm Klein. Sie sah ihre Söhne heiraten und konnte vier Enkelinnen um sich scharen. Sie erlebte den Aufstieg des kleinen Malergeschäfts zu Darmstadts größtem Maler- und Stuck-Unternehmen und trug dazu bei, dass das Familienvermögen in Grundstücken und Immobilien gesichert wurde. Sie musste aber auch erleben, wie das Familienglück ihres Sohnes Heinrich von einer Krankheit zerstört wurde und dieser Zweig der Familie verdörrte.
Auf dem Familienfoto zur Goldenen Hochzeit erkennt man eine Frau, deren Gesichtszüge hart geworden sind, fast männlich. Statt in die Kamera zu schauen, scheint sie den Blick nach innen zu richten auf das, was hinter ihr liegt. Die kräftigen Hände im Schoß gefaltet am Abend eines arbeitsreichen und mühsamen Lebens.