Der 11. September 1944 wurde eine Schicksalsnacht für die Familie Klein. Schon im August desselben Jahres hatten alle Familienmitglieder die Stadt verlassen und sich in Nieder-Modau und im Odenwald einquartiert. An jenem Samstag jedoch war Hanns Nothhelfer mit seiner Frau Barbara, der kleinen Luisa, seiner Schwiegermutter Luise Klein und den Hausmädchen wieder in die Elisabethenstraße zurück gekehrt. Die Wohnungen waren noch nicht alle leer geräumt, und die kostbarsten Möbel, Bilder, Silber und Geschirr sollten in Kisten verstaut und im Keller gelagert werden, damit sie bei einem Bombenangriff nicht zerstört würden. Am Abend war man noch nicht fertig und beschloss, die Nacht in Darmstadt zu verbringen, um am Sonntag weiter zu arbeiten.
Hanns Nothhelfer war noch nicht eingeschlafen, als gegen 23.30 Uhr die Sirenen losheulten. Alle hatten sich vorsorglich in ihren Kleidern schlafen gelegt. Hanns Nothhelfer riss die kleine Luisa aus dem Bett und trieb die Frauen zur Eile an. Sie hörten schon die Motorengeräusche des Jagdgeschwaders, als sie die Treppe hinunter in den Hof rannten. Auch die Nachbarn aus den anderen Wohnungen – die Familien Vogt und Feldmann – stürzten nach draußen. Am Himmel leuchteten die sogenannten Christbäume – Leuchtraketen, die den Bomberpiloten zur Orientierung dienten. Der Bunker, den Philipp Klein 1943 ohne Baugenehmigung errichtet hatte, stand hinten im Garten. Es war ein runder, schneckenförmiger Bau, der in die Erde eingelassen war. Die Familie und die Mieter aus der 2. Etage drängten sich in dem Raum und auf den wenigen Bänken, als sie bemerkten, dass ein Dienstmädchen fehlte. Da fielen schon dröhnend die ersten Bomben. Als Nothhelfer nach dem Hausmädchen sehen wollte, stand es plötzlich in der Tür – zwei Brote in der Hand, die es noch aus der Küche gerettet hatte. Dann wurde das Donnern ohrenbetäubend. Der Bunker vibrierte bei jedem Einschlag. Und als die Bomben unmittelbar daneben auf das Grundstück fielen, hob sich der ganze Bau und drehte sich einige Grad um seine eigene Achse. Die Tür wurde nach innen gedrückt. Hanns Nothhelfer, Dr. Vogt und Dr. Feldmann warfen sich mit ihrem Gewicht dagegen und hielten sie zu.
Nach einer halben Stunde ebbten die Geräusche der Einschläge ab. Die Menschen im Bunker hörten, wie sich die Motorengeräusche entfernten. Erleichtertes Aufatmen. „Wir warten noch“, entschied Hanns Nothhelfer. Und wie zur Bestätigung prasselten Schüsse und Einschläge wieder los, eine Kaskade von Explosionen in unmittelbarer Nähe. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wussten: Die Ladung eines Munitionswagens hatte Feuer gefangen und explodierte. Die Männer drückten sich weiter gegen die Tür, Luise Klein hielt die Hand ihrer Tochter Barbara und die kleine Luisa weinte an der Schulter ihrer Mutter. Sie vernahmen ein unheimliches Rauschen und seltsames Brüllen wie von einem Sturmwind. Hanns Nothhelfer musste nur die Tür einen Spaltbreit öffnen und den Kopf herausstrecken, um den Feuerschein, der den ganzen Himmel erhellte, zu erkennen. Über den Hof und zum Haus hin sah er, dass jedes Gebäude getroffen worden war. Die Trümmer brannten lichterloh. Phosphorgeruch lag in der Luft, und der Rauch und die Hitze waren unerträglich. Man beschloss, bis zum Tagesanbruch im Bunker auszuharren.
Als es gegen 6 Uhr langsam hell wurde, verließen alle den Bunker. Der Garten war verbrannt. Die Schlosserei, die Garagen, die Werkstatt- und Lagerräume waren dem Erdboden gleichgemacht. Die Wohnhäuser der gesamten Elisabethenstraße und Landgraf-Philipps-Anlage ein Trümmerhaufen. Sie mussten über heißen Schutt und Steine klettern. Über der gesamten Umgebung standen Rauchsäulen. Auf halbem Weg zwischen Bunker und dem, was das Haus Elisabethenstraße 70 gewesen war, lag ein Körper – der verkohlte Leichnam eines Kindes aus der Nachbarschaft. Hanns Nothhelfer trug Luisa auf dem Arm zur Straße. „Ihr lauft zum Böllenfalltor und schaut, ob ein Bus nach Nieder-Modau fährt“, wies er seine Frau und seine Schwiegermutter an. Er selbst blieb da, um das Grundstück zu bewachen und die Trümmer zu durchsuchen, bis Philipp Klein aus Alsbach zurückkehrte.
Die Frauen machten sich auf den Weg in Richtung Donnersbergring. Hier hatten die englischen Piloten keine Bomben abgeworfen und man konnte sich beinahe der Illusion hingeben, dass nichts geschehen sei. Ein Soldat, der den gleichen Weg wie Barbara Nothhelfer und Luise Klein hatte, bot sich an, Luisa zu tragen. Sie erreichten nach über einer Stunde das Böllenfalltor. Ihre Hoffnung, dass die Busse wieder fuhren, wurde erfüllt. Doch der Busfahrer wollte sie nicht einsteigen lassen, weil die Frauen kein Geld eingesteckt hatten. Da brach ein Aufruhr im Bus los. Die Menschen empörten sich lautstark angesichts dieser Engstirnigkeit, und der Busfahrer sah sich gezwungen, einzulenken. Sie fuhren bis nach Ober-Ramstadt und gingen dann zu Fuß weiter. Glücklich erreichten die Frauen gegen Mittag ihre kleine Wohnung in Nieder-Modau.